GUIDO RENI Digitorial

Intro

Reni – Superstar

Reni – Super­star 1

Im 17. Jahrhundert hielt Guido Reni halb Europa in Atem. Heute ist sein Name fast vergessen. Seine Kunst ist dennoch präsenter denn je.

Ob auf einem Skateboard, in den Bildern der Fantasy und Games, auf Kruzifixen, Kerzen und anderen Produkten der katholischen Devotionalien-Industrie: Guidos Figuren und nicht zuletzt seine Köpfe mit dem gen Himmel gerichteten Blick sind heute genauso beliebte Motive wie damals.

Schillernder Star

Ein Künstler, der Päpste und Königinnen warten ließ! Auf der italienischen Halbinsel und darüber hinaus wurde Guido Reni als der berühmteste Maler seiner Generation gefeiert.

Dem geflügelten Wort vom „artista divino“, dem göttlichen Künstler, machte Reni alle Ehre: Als er 1642 in seiner Heimatstadt Bologna starb, wurde er fast wie ein Heiliger zu Grabe getragen – so groß war der Starkult um den begnadeten Zeichner und Maler.

„Sein Körper blieb noch weitere drei Stunden ausgestellt, bevor er beerdigt wurde, nur um die Menschen zufriedenzustellen, die ihn wieder und wieder ansehen und ihn berühren wollten.“

Carlo Cesare Malvasia, 1678 Felsina Pittrice, Vite de’ pittori bolognesi, Bologna 1678; s. Ausgabe von Cropper/Pericolo 2019, S. 126/127

Reni, ein schillernder Charakter – das beschrieben schon seine Zeitgenossen: besonders gutaussehend, keusch und fromm, der Schöpfer einer Kunst, die zugleich klar, einfach und mitreißend ist – das Musterbeispiel eines christlichen Malers. Er war aber auch ein Spielsüchtiger, der nachts in Spelunken viel Geld verprasste, abergläubisch war, voller Furcht vor Hexerei und Vergiftung, getrieben von Berührungsangst, vor allem gegenüber Frauen.

Ottavio Leoni, Bildnis des Guido Reni, um 1614 Schwarze Kreide auf Papier, 24,2 x 17 cm, Sammlung David Lachenmann

Legende und Wahrheit

Wer war Guido Reni? Gleich mehrere Gedichte und Lebensbeschreibungen erzählen von seiner Person. Beeindruckend ist vor allem die ausführliche Biografie von Carlo Cesare Malvasia, einem Freund Renis: Sie vermittelt Wissen aus erster Hand. Im 17. Jahrhundert wurde von berühmten Künstlern jedoch längst erwartet, eine öffentliche Rolle zu spielen – genau wie von heutigen Weltstars. Auch bei Reni verschwammen die Grenzen zwischen Kunstfigur und gelebtem Leben.

Carlo Cesare Malvasia, Felsina pittrice. Vite de’ pittori bolognesi, 2 Bde., Bologna (Barbieri) 1678 Frankfurt am Main, Städel Museum, Bibliothek, Sign. 101/125 8º

Nie ohne Hut und Mantel! Reni wusste, sich als Edelmann zu inszenieren. Von seiner herausragenden Leistung gab er sich voll und ganz überzeugt: Für seine Werke zahlten Auftraggeber oft keine festgesetzten Preise. Da seine Kunst ohnehin unbezahlbar sei, solle jeder selbst entscheiden: Mit seinem Preismodell des „Pay what you want“ setzte der Künstler auf das Ehrgefühl seiner Kundschaft und auf einen gewissen sozialen Druck.

Guido Reni, Studie für ein Selbstbildnis, um 1620 Feder in Braun auf Papier, 12 × 12,5 cm; Madrid, Real Academia de Bellas Artes de San Fernando, Inv. 2079

Astronomische Preise für seine Werke! Renis Umsatz war enorm, ebenso berühmt-berüchtigt jedoch seine „fürstlichen Ausgaben“. Was er nicht verspielte, gab der wohltätige Reni großzügig an Bedürftige und Patenkinder ab. Der verehrte Ausnahmekünstler erhob sich über die Normen seiner Zeit.

Guido Reni, Fortuna mit der Geldbörse, um 1636–38 Öl auf Leinwand, 152 × 130 cm, Frankfurt am Main, Privatsammlung

„(…) eine gewisse Person vermeldet, daß Guido durch sein Kartenspielen bey Lebzeiten über hundert tausend Cronen wehrt verloren habe.“

Joachim Sandrart, 1675 Teutsche Akademie 1675, II, Buch 2 (italienische Künstler), S. 196, TA 1675, II, Buch 2 (italienische Künstler), S. 196 – The “Teutsche Academie” on Sandrart.net

Alle Wege führen nach Rom

Freiheiten, großes Ansehen und Rekordpreise – Renis Sonderstellung kam nicht von ungefähr: Nach seiner Ausbildung in Bologna zog es ihn nach Rom. Als der Papst ihn zum Hofmaler berief, war sein Ruhm gesichert.

Der Sohn einer Musikerfamilie wurde bildender Künstler: Schon mit neun Jahren begann Guido Reni seine Ausbildung in der Bologneser Werkstatt von Denys Calvaert (1540–1619), einem Maler aus Flandern. Zehn Jahre später schloss er sich einer innovativen Kunstschule an, der Accademia degli Incamminati. Von der Familie Carracci in Bologna gegründet, strebte diese neuartige Ausbildungsstätte nach einer Reform der Malerei.

Schnelle Striche: Auf dem Skizzenblatt von etwa 1600 probt Reni muskulöse Beine und Figuren. Doch der Künstler schulte sich mit Feder und Tinte nicht nur im anatomischen Zeichnen. Er übte auch seine Signatur: „Io Guido Reni Bologna“ (dt. „Ich, Guido Reni, Bologna“) lässt sich mehrfach entziffern. Als Reni 1601 nach Rom ging, hatte er sich zum selbständigen Künstler mit eigener Handschrift gemausert.

Guido Reni, Skizzenblatt mit diversen Figurenstudien und Signaturproben, um 1600 Feder in Braun auf cremefarbenem Papier, 37 × 25,5 cm, Florenz, Gallerie degli Uffizi, Gabinetto dei Disegni e delle Stampe, Inv. 1587 Fr.

In kurzer Zeit zu größten Ehren – Renis Aufstieg in Rom war kometenhaft. Bereits 1608 kürte Papst Paul V. ihn zu seinem Hofmaler. Reni konnte sich dann vor Aufträgen kaum noch retten: Die mächtige Borghese-Dynastie, die Familie Pauls V. und andere Auftraggeber verlangten immer neue Kunstwerke des Malerstars. Kunst zu Glaubens- und Repräsentationszwecken – das war nicht nur dem Papst sehr wichtig!

Giovanni Lorenzo Bernini, Bildnisbüste Papst Pauls V. Borghese, 1621–22 Bronze, 83 × 74 × 25 cm, Kopenhagen, Statens Museum for Kunst, Inv. DEP47

Glaubensfragen

Ein Leben zwischen Rom und Bologna – Reni war ein Maler des Kirchenstaates, des politischen Herrschaftsgebiets der Päpste, das im 17. Jahrhunderts große Teile Mittelitaliens umfasste. Tatsächlich muss Renis Kunst auch vor dem Hintergrund der religiösen Konflikte des 17. Jahrhunderts gesehen werden. Als Gegenreformation oder katholische Reform bezeichnet man die Antwort der katholischen Kirche auf die protestantische Reformation. Wirkungsvolle Gemälde, Statuen und Bauwerke waren ein wichtiges Mittel, um die katholischen Glaubensgrundsätze in ganz Europa zu stärken und wiederaufleben zu lassen.

Reni arbeitete bis zur Erschöpfung, mit vielen Gehilfen. Noch heute lassen sich die aufwendigen Wandmalereien bestaunen, mit denen er sich in den großen Kirchen und Palästen Roms verewigen durfte. Auch Entwurfszeichnungen für die verschiedenen Fresken haben sich erhalten.

Malen in den Privatgemächern des Papstes! Die Wandbilder in der Cappella dell’Annunziata des Quirinalspalasts von 1610 schmückten die damalige Sommerresidenz des Papstes. Paul V. wollte sich auch in seiner Privatkapelle mit der Kunst Renis umgeben. Dessen Vorzeichnung für das kniende Mädchens im Wandbild der „Geburt Mariens“ veranschaulicht die sorgfältige Planung der Fresken.

Guido Reni, Studie für eine junge Frau mit Schüssel, 1609/10 für ein Fresko in der Cappella dell’Annunziata (Rom, Quirinalspalast); schwarze und weiße Kreide auf grauem Papier, 40,4 x 25,6cm, Paris, Fondation Custodia, Inv. 3016 Gudio Reni, Geburt Mariens (Fresko), 1609/10 Fresko in der Cappella dell’Annunziata (Rom, Quirinalspalast)
  • Oratorio di Sant'Andrea, Rom (mit Wandgemälde Renis von 1609) Oratorio di Sant’Andrea (Rom, San Gregorio Magno), Vito Arcomano/ Alamy Foto Stock

    1609 malte Reni im Auftrag von Scipione Borghese, dem Neffen Pauls V., ein Wandbild in einer Kapelle bei der großen Kirche San Gregorio Magno. Für solche Aufträge stellte Reni viele Gehilfen an.

  • Cappella Paolina in der Kirche Santa Maria Maggiore, Rom (mit einzelnen Wandmalereien Renis von 1610-12)

    Die Cappella Paolina in der Basilika Santa Maria Maggiore ist für viele Katholiken ein heiliger Ort. Hier wird die sogenannte Salus Populi Romani, die bedeutendste Marienikone Roms, aufbewahrt. Dass Reni beauftragt war, einige Wandfelder der Kapelle zu bemalen, verdeutlicht seine außergewöhnliche Stellung.

Auf den Pfennig genau

Ein seltenes Dokument: Ein Rechnungsbuch Renis ist bis heute erhalten. Zwischen 1609 und 1612 listete der Künstler sämtliche Ausgaben und Einkünfte der großen Aufträge in Rom peinlich genau auf. Ein möglicher Grund für die Sorgfalt des Malers mag überraschen: Der spielsüchtige Reni hatte wohl für kurze Zeit wegen Schulden im Gefängnis gesessen!

Guido Reni, Rechnungsbuch, 25. Oktober 1609–15. Mai 1612 New York, The Morgan Library & Museum, Sign. MA 2694
Guido Reni, Aurora (Deckengemälde), 1612–14, Rom, Palazzo Pallavicini Rospigliosi Fresko im Casino dell’Aurora

Eines der meistkopierten Werke der Kunstgeschichte: Der Gott Apoll lenkt seinen Pferdewagen durch hohe Lüfte; Aurora, die Göttin der Morgenröte, schwebt voran und streut Blumen. Der feierliche Himmelszug bringt Licht und Fruchtbarkeit über die noch dämmrig daliegende Landschaft. Bis ins späte 19. Jahrhundert war Renis Deckengemälde ebenso ein Muss bei jedem Rombesuch wie Michelangelos Sixtinische Kapelle und Raffaels Stanzen im Vatikan – gepriesen als „gemalte Poesie“.

Guido Reni, Aurora (Deckengemälde) und Studie, 1612–14 s.o. und Feder in Braun über roter Kreide auf Papier, 12,5 × 25,7 cm, Wien, Albertina, Inv. 24550

Eine kleine Zeichnung, in der das ganze Kunstwerk steckt! Mit Tusche auf einem Stück Papier skizzierte Reni einen erstaunlich genauen Entwurf für das sieben Meter breite Deckengemälde. Der Künstler und seine Bewunderer waren überzeugt: Schon in Renis Kompositionszeichnungen zeigten sich die „idee celesti“, die himmlischen Einfälle des Ausnahmekünstlers.

Wider die Schwerkraft

Wider die Schwer­kraft 2

Über allem schweben – wie seine berühmte „Aurora“ laden viele Bilder Renis zum Abheben ein. Sie stellen den allzu irdischen Wirklichkeiten etwas entgegen: eine Kunst „nicht von dieser Welt“.

Vorbild und Konkurrent

Ohne seine Jahre in Rom wäre Reni nicht zu Reni geworden: Der Aufstieg zum päpstlichen Künstler war für den Bologneser entscheidend. Aber auch die Auseinandersetzung mit Caravaggios Malerei schärfte seine künstlerische Position.

Er könne sich selbst in Caravaggio verwandeln, sollen Renis römische Gönner über ihn gesagt haben. Gleich nach Ankunft in Rom forderte Reni den berühmt-berüchtigten Konkurrenten heraus. In seinem „Christus an der Geißelsäule“ aus der Sammlung des Städel Museums kommt das typische „Scheinwerferlicht“ – bis heute Caravaggios bekanntes Markenzeichen – gekonnt zum Einsatz.

  • Guido Reni, Christus an der Geißelsäule, um 1604 Öl auf Leinwand, 192,7 × 109 cm (ohne Anstückungen), Frankfurt am Main, Städel Museum, Inv. 1103

    Ein leuchtender Körper vor schwarzem Hintergrund: Unmittelbar und doch entrückt steht Christus den Betrachtern wie eine Vision vor Augen.

  • Caravaggio, Die Geißelung Christi, um 1607 Öl auf Leinwand, 286 x 213 cm, Museo di Capodimonte, Neapel

    Aufwühlend und naturgetreu, gleich einem Filmstill: Caravaggio scheut keine Details, um das Leiden Christi anschaulich zu machen.

„Es gab keinen Maler, der Guido nicht schätzte und nur Gutes über ihn sagte, mit der einzigen Ausnahme von Caravaggio.“

Carlo Cesare Malvasia, 1678 Felsina Pittrice, Vite de’ pittori bolognesi, Bologna 1678; s. Ausgabe von Cropper/Pericolo 2019, S. 189

Etwa für fünf Jahre überschnitten sich die Lebenswege von Reni und Caravaggio in Rom. Der eine äußerlich ein frommer Edelmann, schön und engelsgleich, der andere ungekämmt, aufbrausend und mörderisch – die Zeitgenossen schilderten zwei gegensätzliche Charaktere. Im Rückblick ahnen wir: Brillante Künstler, Diven und Exzentriker waren sie beide. Der Vergleich ihrer Werke zeigt jedoch: Ihre Kunst unterscheidet sich sehr.

David und Goliath – ein Harfe spielender Hirte erschlägt und enthauptet einen zornigen Riesen. Eine Geschichte aus dem Alten Testament. Caravaggio zeigt das mörderische Handwerk Davids aus nächster Nähe und ungeschönt. Besonders gespenstisch: Der abgetrennte Kopf Goliaths blickt die Betrachter aus zerfurchtem Gesicht direkt an.

Caravaggio, David und Goliath, 1599 Öl auf Leinwand, 110 x 91 cm, Museo Nacional del Prado, Madrid

Ganz anders Renis Darstellung! David lehnt lässig an einer Säule. Die grausame Handlung, nach der eine blutige Tat den Hirtenjungen zum Helden macht, wird nicht gezeigt. Bekleidet mit rotem Barett, riesiger gelber Feder und königlichem Pelzumhang, betrachtet David den abgetrennten Kopf des Riesen unberührt. Reni inszeniert das Bild eines Triumphs: David, dessen makelloser weißer Körper an eine antike Statue erinnert, steht über den Dingen.

Guido Reni, David mit dem Haupt des Goliath, um 1605–06 Öl auf Leinwand, 228 × 163 cm, Orléans, Musée des Beaux-Arts, Inv. 1177

„Er [Reni] sieht das Natürliche, er packt es, zieht das Gute heraus, lässt das Schlechte zurück und verbessert es (…).“

Giulio Mancini, um 1621 Giulio Mancini (1956–1957): Considerazioni sulla pittura. Siehe Ausgabe von Adriana Marucchi/Luigi Salerno, 1956-57, Bd. 1, S. 108–111

Versprechen der Schönheit

Sich über alles hinwegsetzen – das konnte auch Reni. Als ihm der Arbeitsdruck in Rom zu groß wurde, kehrte er auf der Stelle nach Bologna zurück. Wie ein Rennpferd wolle er sich nicht behandeln lassen. Ab 1614 ist er endgültig als selbständiger Künstler in seiner Heimatstadt tätig.

Ein Mordsbild – die Dekoration eines Kamins, gemalt für das Wohnhaus der einflussreichen Bologneser Familie Zambeccari. Renis „Samson“ von 1615-17 ist spektakulär.

Guido Reni, Samson, um 1615–17 Öl auf Leinwand, 260 × 223 cm, Bologna, Pinacoteca Nazionale, Inv. 450 Guido Reni, Samson, um 1615–17 Öl auf Leinwand, 260 × 223 cm, Bologna, Pinacoteca Nazionale, Inv. 450

Überall getötete Soldaten – man möchte kaum hinschauen. Reni spart bei der Darstellung der blutüberströmten Leichen nicht an Details: ein Realismus, wie man ihn von Caravaggio kennt. Weit verstreut liegen die toten Körper. Das Gemälde zeigt den biblischen Helden Samson, der 1000 gegnerische Philister erschlug. Vor die fahle Szene des Schreckens stellt Reni die Figur Samsons – golden leuchtend, atemberaubend schön, ein Balletttänzer in Siegerpose. Wie kann er das wagen?

„Nie sah man einen Torso, der korrekter in der Zeichnung und prachtvoller in der Farbigkeit war.“

Carlo Cesare Malvasia, 1678 Felsina Pittrice, Vite de’ pittori bolognesi, Bologna 1678; s. Ausgabe von Cropper/Pericolo 2019, S. 198

Reni zeigt mit dem „Samson“, was er kann. Künstlerische Perfektion angesichts der grausamen Geschichten von Mord und Todschlag? Beinahe ließe sich sein Bild als zynisch auffassen. Doch Reni bietet mit dem Gemälde eine ganz eigene Interpretation der biblischen Geschichte: Die Schönheit des durch göttliche Hilfe siegreichen Helden triumphiert über das irdische Grauen des Schlachtfeldes.

Guido Reni, Samson (Detail), um 1615–17 Öl auf Leinwand, 260 × 223 cm, Bologna, Pinacoteca Nazionale, Inv. 450

„Er war es, der es ablehnte, mit den anderen diesen niedrigen Erdboden gemein zu haben.“

Carlo Cesare Malvasia, 1678 Felsina Pittrice, Vite de’ pittori bolognesi, Bologna 1678; s. Ausgabe von Cropper/Pericolo 2019, S. 14

Engelsgleicher Reni

Der Maler der fantastischen Männerkörper soll jeden Kontakt zu Frauen gemieden haben. Eine keusche „Jungfrau“ sei Reni gewesen. Was manche aus heutiger Perspektive als die Beschreibung eines versteckten Homosexuellen auslegen, unterstrich zu Renis Lebzeiten wohl das Image des engelsgleichen Künstlers: kein Sex und Unmengen an Geld, die sofort großzügig an Bedürftige gespendet oder verspielt wurden – Reni und seine Kunst waren wahrlich nicht von dieser Welt.

Guido Reni, Himmlische Liebe und Irdische Liebe, um 1622–23 Öl auf Leinwand, 132 × 163 cm, Genua, Galleria Nazionale di Palazzo Spinola, Inv. 111

Schöner als schön

Schöner als schön 3

Eine unerklärliche, gottgegebene Schönheit – dafür war Renis Kunst im 17. Jahrhundert berühmt. Die Nachfrage nach seinen Werken war immens. In Bologna unterhielt der Künstler deshalb ein riesiges Atelier.

Gemaltes Ballett

„Un fare di paradiso“, ein paradiesischer Stil: Nicht von Menschenhand, sondern „da angelo“, von einem Engel gemalt – so wurden Renis Gemälde bejubelt.

„In unseren Zeiten haben wir dem berühmten Guido Reni zuschauen können, der in der Auffassung der Figurenstudien sehr genau und angemessen und in der Leichtigkeit und Anmut wie göttlich war.“

Francesco Scanelli, 1657 Microcosmo della Pittura, 1657, S. Ausgabe der Felsina Pittrice von Cropper/Pericolo, S. 432

Die Schönheit und sanfte Bewegtheit seiner Werke hypnotisierten Renis Publikum. Nur mit den Regeln der Kunst lasse sich sein Können nicht erklären, waren seine Zeitgenossen überzeugt – eine solche Grazie entstehe allein durch göttliche Inspiration.

Guido Reni, Hippomenes und Atalante, um 1615–18 Öl auf Leinwand, 193 × 272 cm (mit späteren Anstückungen 206 × 279 cm), Madrid, Museo Nacional del Prado

Schicksalslauf

Eine Leinwand von fast zwei auf drei Metern! Zwischen der Leichtigkeit eines Flugs und der Last der Schwerkraft setzt Reni die nackten Körper von Hippomenes und Atalante wirkungsvoll in Szene. Die Darstellung erinnert an die Pose eines Tanzes. Renis Schilderung des antiken Mythos fasziniert bis heute.




Atalante ist die schnellste Läuferin Griechenlands. Ihr war geweissagt worden, sie solle die Ehe meiden, sonst werde sie „bei lebendigem Leib sich selbst verlieren“. Uneinholbar schnell, fordert sie ihre Verehrer zum Wettlauf heraus. Nur wer sie besiegen kann, darf sie heiraten.

Der schöne Hippomenes nimmt Atalantes Herausforderung an. Wenn er verliert, muss er sterben. Renis Darstellung ist originell – noch kein Künstler vor ihm hat das Paar nackt im Wettlauf gezeigt.

Genial einfach: Das große Gemälde ist typisch für Renis Erzählweise. Er setzt nur das Wesentliche einer Geschichte effektvoll in Szene. In diesem Fall verschwindet das Publikum des Wettlaufs im Hintergrund, nur die Körper der Hauptfiguren strahlen uns an.

Drei goldene Äpfel der Liebesgöttin Venus verhelfen Hippomenes zum Sieg! Während des Laufs bückt sich Atalante nach den unwiderstehlichen Äpfeln, verliert deshalb den Wettlauf und muss anschließend ihr Eheversprechen geben.

Die Beine von Hippomenes und Atalante überkreuzen sich. Reni deutet hier den Ausgang der Geschichte an: Überwältigt von gegenseitigem Begehren, verfällt das Paar schließlich seinen Gelüsten – ausgerechnet im heiligen Tempel der Göttin Kybele.

Zur Strafe für die Schändung der Kultstätte werden Hippomenes und Atalante in Löwen verwandelt. Das Thema der verhängnisvollen Sexualität: Hippomenes’ Geschlechtsteil entzieht Reni gewitzt den Blicken der Betrachter – wohl auch um die „göttliche“ Schönheit und Ausgewogenheit seines Bildes zu sichern.

Für heutige Betrachter mag das Gemälde wie ein Nachtbild erscheinen. Doch der Hintergrund ist nachgedunkelt. Ursprünglich war ein fahles, feines Dämmerlicht zu sehen.

Harmonie, Bewegtheit, Grazie – dafür stand zu Renis Lebzeiten vor allem der Name Raffael, Renis großes Vorbild aus dem 16. Jahrhundert. Er besaß zahlreiche Zeichnungen des Renaissance-Genies. Den weichen Konturen und feinen Modellierungen Raffaels folgte Reni: Er entwickelte Kopf- und Körperhaltungen, die ausgewogen komponiert und dennoch stimmungsgeladen sind. Wie schon Raffael zu seiner Zeit, wurde Reni als „göttlicher“ Maler gefeiert – „il divino“.

Raffael, Kopfstudie für einen Engel (Kartonfragment), um 1519–20 Schwarze Kreide oder Kohle mit Weißhöhung auf Papier, 30,8 × 25,4 cm, Budapest, Szépművészeti Múzeum, Inv. 1943 Guido Reni, Kopfstudie für eine junge Frau, um 1609–10 Rote Kreide auf Papier, 30 × 22 cm, Chatsworth, The Duke of Devonshire, Inv. 485

Eingebung oder harte Arbeit?

Renis Bologneser Werkstatt entwickelte sich zur Stadtsehenswürdigkeit. Hier gaben sich Kunsthändler, Kardinäle und Botschafter die Klinke in die Hand. Ob Altar- und Andachtsbilder, mythologische Szenen oder Porträts, gemalt in helleren oder dunkleren Farben – die Kunstwerke Renis waren sehr begehrt.

Rot, Gelb, Grün und das strahlende Blau von Himmel und Meer: Das Gemälde besticht durch seine satte, leuchtende Farbkraft. Reni zeigt vor weitem Horizont die Begegnung zwischen Bacchus und Ariadne auf der Insel Naxos. Ein klares, einfaches Bild, mit enormer Wirkung auf den Betrachter.

Guido Reni, Bacchus und Ariadne, um 1614–16 Öl auf Leinwand, 96,5 × 86,4 cm, Los Angeles, Los Angeles County Museum of Art, Inv. M.79.63 (Gift of The Ahmanson Foundation)

Ariadne, die Tochter des Königs von Kreta, lagert klagend auf einem Felsen. Ihr Geliebter hat sie auf der Insel zurückgelassen. Obwohl sie für ihn alles geopfert hat, segeln seine Schiffe in der Ferne davon. Noch nimmt sie Bacchus, den Gott des Weines und der rauschhaften Feste, nicht wirklich wahr. Doch er deutet bereits mit dem Zeigefinger auf sein Herz, das für Ariadne zu brennen beginnt. Die mythologische Geschichte einer Liebe zwischen Gottheit und Mensch!

  • Schlafende Ariadne, Marmorskulptur des 2. Jh. (röm. Kopie nach hell. Original des 2. Jh. v. Chr.) 161,5 x 195 cm; Rom, Musei Vaticani, Galleria delle Statue, Inv. MV.548.0.0 Photo © Governorate of the Vatican City State - Directorate of the Vatican Museums

    Für seine Ariadne orientierte sich Reni an einer berühmten antiken Statue. Für Frauenkörper dienten ihm meist die Kunstwerke der fernen Vergangenheit als Vorlage. Die antiken Figuren verkörperten eine Idealschönheit, die es künstlerisch zu übertreffen galt.

  • Guido Reni, Torso-Studie für Herkules auf dem Scheiterhaufen, 1617 Schwarze Kreide, Spuren von roter und weißer Kreide, auf blauem Papier, 39 × 26,7 cm, Florenz, Gallerie degli Uffizi, Gabinetto dei Disegni e delle Stampe, Inv. 10113

    Renis Zeichnungen verraten: Für die Darstellung von Männerkörpern arbeitete er oft akribisch nach dem lebenden Vorbild. Sein Mitarbeiter Emilio Savonanzo war angeblich das Modell für seinen Bacchus. Dessen Körper habe die Schönheit der antiken Statuen sogar übertroffen. Als Reni starb, inventarisierte man knapp 2000 Zeichnungen von seiner Hand.

Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen: Reni wusste sich unterschiedlicher Vorbilder zu bedienen und sie auf eigene Weise abzuwandeln und zu kombinieren. Dass die Kunst des „göttlichen“ Malers auf harter Arbeit beruhte, wird auch mancher seiner Zeitgenossen geahnt haben.

„Diese Gaben erwirbt man mit großer Mühe; diese Ideen, von denen sie sagen, sie seien mir offenbart worden, habe ich aus dem Studium (…) der antiken Statuen gewonnen.“

Guido Reni nach Giovan Pietro Bellori, 1672 Le Vite de' pittori, scultori e architetti moderni, hrsg. von Evelina Borea, Turin 1976, S. 529

Eine Figur, zwei Gemälde – es braucht keinen Kunstexperten, um zu erkennen, dass Reni für die Darstellung der heiligen Magdalena seine Ariadne wiederverwendet. Aus der nackten Prinzessin ist eine christliche Büßerin geworden.

Guido Reni, Bacchus und Ariadne (Detail), 1614-16 und Büßende Magdalena, 1631-33 S.o. und Öl auf Leinwand, 234 x 151 cm, Rom, Gallerie Nazionali, Palazzo Barberini, Inv. 1437

Einmal ist keinmal: Der wiederholte Einsatz von bestimmten Figuren oder Bildformeln zieht sich durch Renis Werk. Hatte er erst eine Körperform erfunden, nutzte er sie flexibel. Auch besonders beliebte Gemälde ließ der Künstler in hoher Zahl vervielfältigen: Von der „Büßenden Magdalena“ haben sich über 50 von seiner Werkstatt gemalte Kopien bis heute erhalten!

Eine solche Akkordarbeit war nur dank Renis großem Atelier mit zeitweise 80 Mitarbeitern möglich. Reni selbst soll betont haben: Egal von wem und wie oft seine Bilder ausgeführt würden – auf die Einfälle dahinter, auf seine „himmlischen Ideen“ käme es an!

Gefragte Magdalena

Die Darstellung der „Büßenden Magdalena“ war ein echter Verkaufsschlager. Magdalena galt im 17. Jahrhundert als reiche, schillernde Prostituierte, die Christus reuig ihre Sünden gesteht und fortan zu seinem engsten Kreis gehört. Magdalenas Geschichte – von der Sünderin zur Büßerin – diente im Zuge der Gegenreformation als Vorbild für das katholische Sakrament der Buße. Renis Bilderfindung, in der Magdalena über Leben und Tod nachzudenken scheint, bediente den herrschenden Geschmack im Kirchenstaat.

In himmlischen Sphären

In himm­lischen Sphären 4

Die Betrachter ergreifen, entrücken und verzücken: Reni verführt zum Blick in andere Sphären. Ein Maler, der Kunst und Religion aufs Engste verbindet.

Hingebungsvoll

Der in den Nacken gelegte Kopf, ekstatisch nach oben gerichtete Augen – kein Motiv findet sich häufiger in Renis Bildern als sein „himmelnder Blick“. Das Markenzeichen des Künstlers traf den Nerv seiner Zeit. Schmerz, Hingabe und Gottesvision: Was steckt hinter Renis Bilderfindung?

Raffael, Ekstase der Heiligen Cäcilia, 1514 und Guido Reni, Kopie, um 1600/01 Öl auf Holz, 236 × 149 cm, Bologna, Pinacoteca Nazionale, Inv. 5, und Öl auf Leinwand, 234 × 147 cm, Dublin, National Gallery of Ireland, Inv. NGI.7077

Nichts Neues unter der Sonne? Reni entwickelte sein Markenzeichen nicht im luftleeren Raum: Schon in Raffaels „Heiliger Cäcilia“ von 1514 blickt die Schutzheilige der Kirchenmusik hingebungsvoll gen Himmel. Um 1600 kopierte Reni das berühmte Gemälde genau. Schon als Kind in Bologna hat er es in einer Kirche bestaunen können. Doch Reni machte mehr aus dem Motiv des Aufschauens!

Guido Reni, Heilige Katharina, um 1606 Öl auf Leinwand, 98 × 75 cm, Madrid, Museo Nacional del Prado, Inv. P000230; im Folgenden: Heilige Cäcilia, um 1603–05, Öl auf Leinwand, 71,5 × 57 cm, Patrimonio Nacional, Palacio Real de la Granja de San Ildefonso, Inv. 10010037; Heiliger Petrus, 1633/34, Öl auf Leinwand, 76 × 61 cm, Madrid, Museo Nacional del Prado, Inv. P000219; Heilige Margarethe, um 1606/7, Öl auf Leinwand, 92,5 x 76 cm, Münster, LWL-Museum für Kunst und Kultur, Inv. 1222 BRD (Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland); Christus mit der Dornenkrone, um 1630, Öl auf Kupfer, 83,8 x 75,3 x 5,1 cm, Detroit, Detroit Art Institute, inv. 89.23 (Schenkung von James E. Scripps); Ecce Homo, um 1636-38, Öl auf Leinwand, 79 x 65 cm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Gemäldegalerie Alte Meister, Inv. Gal.-Nr. 330; Kleopatra, um 1625, Öl auf Leinwand, 124 × 94 cm, Potsdam, SPSG Berlin-Brandenburg, Neues Palais, Inv. GK I 5054

Zum Himmel

Nichts spricht die menschliche Aufmerksamkeit und Gefühle stärker an als ein Blick: Reni setzte den himmelnden Blick geschickt und sehr originell ein – nur auf eine Halbfigur und ihren Gesichtsausdruck fokussierte er seine Bilder. So entfalten sie eine mitreißende Sogwirkung auf die Betrachter. Den Augen anderer muss man schließlich folgen.

Als sei sie hypnotisiert: Renis heilige Cäcilia sieht völlig verzückt auf den göttlichen Lichtschein, ihre Hand an der Brust. Ihre Augen sind so verdreht, dass die Pupillen halb unter den Lidern verschwinden. Reni setzt einen extremen Gefühlszustand in Szene.

Ein echter Verkaufsschlager: Renis Köpfe mit dem himmelnden Blick waren sehr begehrt. Katholische Gläubige des 17. Jhs. erinnerten sich vor den Andachtsbildern an die Lebensgeschichten der Heiligen und ließen sich von ihrem Gefühlszustand mitreißen – Vorbilder des absoluten Gottvertrauens.

Ein rettender Blick in andere Sphären! Die heilige Margarethe wurde für ihren christlichen Glauben in den Kerker geworfen und getötet – doch selbst den Teufel, hier als Drachenwesen zu sehen, fürchtete sie nicht.

Ein Schmerz, der alles Aushaltbare überschreitet: Auch den Kopf Christi am Kreuz, kurz vor seinem qualvollen Tod, versieht Reni mit dem himmelnden Blick. Das Gesicht des Gottessohnes mit geöffnetem Mund und rot unterlaufenen Augen lässt keinen Betrachter kalt.

Christus im Moment seiner Folter und Demütigung. Der Blick nach oben schildert nicht nur den entrückten Zustand des Leidenden. Er weist auch aus dem Bild hinaus, auf eine höhere (göttliche) Wahrheit, die für die irdischen Betrachter unsichtbar bleibt.

Der himmelnde Blick einer Selbstmörderin! Nicht nur christlichen Heiligen, sondern auch Figuren der antiken Geschichte setzt Reni sein Markenzeichen auf. Kleopatra hat sich von einer Viper beißen lassen, um der Schmach der politisch-öffentlichen Niederlage zu entgehen. Ein Moment größter Verzweiflung zwischen Leben und Tod.

„… mindestens in der Lebendigkeit, dem Ausdruck seiner Köpfe, lässt er [Reni] sich mit Raffael selbst vergleichen.“

Luigi Pellegrini Scaramuccia, 1674 Le finezze dei pennelli italiani, 1674, S. 25.

Leidenschaftliche Hingabe oder rasender Schmerz: Der himmelnde Blick spiegelt extreme Gefühlszustände, die die Betrachter ergreifen und in ihrem Glauben stärken sollen. Reni ging an die Grenzen des Sag- und Darstellbaren – und bewies damit immer auch sein künstlerisches Können. Vorbilder fand er in der antiken Skulptur, die von seinen Zeitgenossen für ihre Ausdruckskraft verehrt wurde.

  • Kopf der Niobe (Antikenkopie des 17. Jhs.), vor 1672 und Guido Reni, Kopfstudie für Judith, um 1625 Dolomitmarmor aus Thassos, 62 × 29 × 29,5 cm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Skulpturensammlung, Inv. Hm 125 und Schwarze und rote Kreide auf hellbraun-grauem Papier, 33,6 × 22,6 cm, New York, The Metropolitan Museum of Art, Inv. 1992.70 (Lila Acheson Wallace Gift, 1992)

    Einen Gipsabguss dieses antiken Kopfes soll Reni besessen haben. Die Darstellung der Niobe war hochberühmt und beeinflusste viele Künstler. Sie zeigt eine Mutter in unvorstellbarer Verzweiflung: Im antiken Mythos verhöhnt Königin Niobe die Göttin Leto und wird mit der Ermordung ihrer vielen Kinder bestraft.

  • Kopf des Laokoon (Gipsabguss), um 200 v. Chr und Guido Reni, Kopfstudie für Christus, um 1619 Gips, 53 × 36 × 34 cm, Frankfurt am Main, Goethe-Universität, Institut für Archäologische Wissenschaften, Abguss-Sammlung, Inv. A 31 und Schwarze und rote Kreide mit Weißhöhung auf Papier, 31,5 × 25,7 cm, Paris, Musée du Louvre, Département des Arts graphiques, Inv. 8902

    Auch der Kopf des Vaters aus der gefeierten Laokoon-Gruppe war Renis Vorlage: Die Darstellung galt im 17. Jahrhundert als „exemplum doloris“ – als perfekte Verkörperung des Schmerzes, die es nachzuahmen galt. Reni übertrug die Kopfhaltung und den zum Schrei geöffneten Mund auf den gepeinigten Christus.

Der grenzüberschreitende Blick, aus dem Diesseits ins Jenseits: Renis Zeitgenossen verbanden den himmelnden Blick mit der Vorstellung der Liebe zu Gott. Erfindungsreich und gewitzt waren Renis zahlreiche Varianten seines Markenzeichens, so auch in seinem spektakulären „Saulussturz“ – mit leicht geöffnetem Maul wendet sich hier sogar das Pferd himmelnd zum göttlichen Licht!

Guido Reni, Bekehrung des Saulus, um 1616–19 Öl auf Leinwand, 222 × 160 cm, Real Monasterio de San Lorenzo de El Escorial, Patrimonio Nacional, Inv. 10033839

Im siebten Himmel

Ein christlicher Maler: Renis leidenschaftliche Verehrung der Gottesmutter Maria ist legendär. Seine Darstellungen ihrer Himmelfahrt waren heiß begehrt – und eine davon wurde sogar als wundertätiges Bild verehrt!

Als ob sich für einen Moment das Fenster zum Himmel öffnet: Lang vor der Erfindung des Flugzeugs lässt Reni die Betrachter über den Wolken schweben. Engelchen heben Maria immer weiter in die Höhe – verheißungsvoll ist der himmelnde Blick der Gottesmutter.

Guido Reni, Himmelfahrt Mariens, um 1598–99 Öl auf Kupfer, 58 × 44,4 cm, Frankfurt am Main, Städel Museum, Inv. 2434

Schön und übersinnlich: Maria schwebt einem gleißenden Licht entgegen. Nicht auf Leinwand, sondern auf einer Kupferplatte ist das träumerische Bild gemalt. Der metallene Untergrund verstärkt die Leuchtkraft des gold-gelben Farbtons, den Reni gekonnt mit dem Blau und Rosa-Rot von Marias Gewändern kombiniert.

Guido Reni, Himmelfahrt und Krönung Mariens, um 1602–03 und Himmelfahrt und Krönung Mariens, um 1607 Öl auf Holz, 77 × 51 cm, Madrid, Museo Nacional del Prado, Inv. P000213 und Öl auf Kupfer, 66,6 × 48,8 cm, London, The National Gallery, Inv. NG214

Zahlreiche, sehr ähnliche Varianten der Mariendarstellungen entstanden im Laufe von Renis Karriere, auf Kupfer, Holz oder Leinwand. Die Bilder der Himmelfahrenden waren in Zeiten der Gegenreformation gefragt, vor allem von Renis Hand.

Rein und unbefleckt

Maria in aller Augen und Munde: Im 17. Jahrhundert gehörte das Gebet zur Muttergottes fest zur römisch-katholischen Glaubenspraxis. Statuen und Gemälden feierten die Gebetserhörerin und Nothelferin. Denn nach katholischer Auffassung vermag Maria aktiv zwischen Gott und den Menschen zu vermitteln und das Heil jedes Einzelnen zu befördern. Während der Gegenreformation dienten Bilder einer schönen, triumphierenden Maria so auch zur Abgrenzung gegenüber den reformierten Glaubensrichtungen: Im protestantischen Verständnis ist die Muttergottes nicht mehr als eine ganz normale Frau – ein passives Werkzeug des göttlichen Heilswillens.

„Er verehrte zutiefst die Jungfrau Maria (…). Kein Maler in irgendeinem Jahrhundert verstand es je, sie schöner und zugleich bescheidener darzustellen.“

Carlo Cesare Malvasia Felsina Pittrice, Vite de’ pittori bolognesi, Bologna 1678; s. Ausgabe von Cropper/Pericolo 2019, Bd. 1, S. 166 f

Küss die Hand, schöne Frau

Nicht nur weil er selbst Jungfrau gewesen sei, habe er Maria so schön darstellen können. Seine große Huldigung der Gottesmutter wird in Renis Lebensbeschreibungen anschaulich geschildert: Jeden Abend soll er vor einem Marienbild gebetet haben. Diese Druckgrafik aus Renis Bologneser Atelier lässt schmunzeln: Ein Handkuss für die Gottesmutter durch den kleinen Johannes! Der Handkuss war damals wie heute eine Geste der Ehrerbietung und Wertschätzung – und auch im 17. Jahrhundert schon eine galante Liebeserklärung an eine Frau. Alles, was über den engelsgleichen Reni erzählt wurde, sollte versichern: Seine Verehrung Marias übertraf jede irdische Liebe!

Guido Reni, Heilige Familie mit dem Johannesknaben Radierung, einziger Zustand, 19,8 × 14,1 cm (Blatt), Frankfurt am Main, Städel Museum, Graphische Sammlung, Inv. 29079

Im Laufe seiner Karriere fokussierte Reni seine Marienbilder zunehmend auf die Figur der schwebenden Jungfrau. Die reduzierten und umso wirkungsvolleren Darstellungen führten zu immer neuem Ruhm: überwältigende Gemälde von über drei Metern Höhe, in leuchtenden, fast irrealen Farben.

  • Guido Reni, Guido Reni, Himmelfahrt Mariens, 1626–27, Castelfranco Emilia, Kirche Santa Maria Assunta Öl auf Leinwand, 238 x 150 cm

    Diese Maria schmückt bis heute einen Altar in dem italienischen Städtchen Castelfranco Emilia. Als das Gemälde 1627 enthüllt wurde, brannten die Kerzen auf dem Altar stundenlang, angeblich ohne Wachs zu verlieren – ein Wunderbild des engelsgleichen Reni!

  • Guido Reni, Immaculata Conceptio (Unbefleckte Empfängnis Mariens), 1627 Öl auf Leinwand, 268 × 185,4 cm, New York, The Metropolitan Museum of Art, Inv. 59.32 (Victor Wilbour Memorial Fund, 1959)

    Im selben Jahr 1627 erhielt Reni den Auftrag für dieses Bild der sogenannten „Unbefleckten Empfängnis“. Die Kronprinzessin Spaniens wurde seine Kundin! Der Papst persönlich sprang für den divenhaften Reni in die Bresche, als dieser sich vom spanischen Botschafter unter Druck gesetzt fühlte und das Königshaus brüskierte.

Vom wundertätigen Bild bis hin zur malerischen Umsetzung einer christlichen Glaubenslehre – Renis Marienbilder sind bedeutungsschwer. Über die Rolle der Maria schieden sich im 17. Jahrhundert die Geister der katholischen Gelehrten. Renis Bilder bezogen Position.

Unbefleckt – die Lehre der Immaculata Conceptio

Wie und wann wurde Maria von der Erbsünde (lat. macula) befreit? Diese Frage war zu Renis Lebzeiten heftig umstritten. Als Mensch war Maria der Erbsünde naturgemäß unterworfen, als Mutter des Gottessohns musste sie dagegen frei von Sünde sein – doch wann in ihrem Leben fanden diese Erlösung und die damit einhergehende Erwählung statt? Die Lehre der Immaculata Conceptio, der Unbefleckten Empfängnis, besagt, dass sie bereits von der Erbsünde befreit war, als sie von ihrer Mutter, der heiligen Anna, empfangen wurde. Reni wusste die „makellose“ Gottesmutter triumphal und feierlich im Himmel zu inszenieren – und damit ihre exklusive, „unbefleckte“ Stellung erfahrbar zu machen.

Vergötterter Reni! Prächtig, harmonisch und schwelgerisch – die Marienbilder des Malers der „himmlischen Ideen“ verbinden andächtiges Schauen und Kunstgenuss. Die Gemälde sprechen intensive Gefühle und den Sinn für Schönheit an; der engelsgleiche Maler entführt in höhere Sphären.

„(…) und kein anderer hat es mit seinem Pinsel vermocht, die Seelen zur Andacht und zur Ehrfurcht gegenüber den Bildern anzuregen.“

Giovanni Battista Passeri, 1772 Vite de' pittori, scultori ed architetti che anno lavorato in Roma, morti dal 1641 fino al 1673, Rom 1772.

Offenes Ende

Offenes Ende 5

Ein Ausnahmekünstler nicht von dieser Welt – am Ende von Renis langer Karriere entstanden rätselhafte Gemälde. Sie vermitteln den Eindruck einer schnell und kühn hingeworfenen Malerei, der Unfertigkeit und Offenheit.

Unvollendet vollendet

Lockere, skizzenhafte Pinselstriche, ganze Bildbereiche, die unvollendet erscheinen – dazu auffallend blasse Farben: Renis letzte Werke sind so eigentümlich wie faszinierend.

Als habe er das Gemalte noch einmal „auskritzeln“ wollen: Mit groben, hektischen Strichen eines Borstenpinsels vermalt Reni in „Christus und der Johannesknabe“ das Tuch des knieenden Kindes mit der dunkelgrünen Hintergrundfarbe der Bäume und Pflanzen.

Guido Reni, Christus und der Johannesknabe, um 1640–42 Öl auf Leinwand, 86,5 × 69 cm, Rom, Musei Capitolini – Pinacoteca Capitolina, Inv. PC 188

Das ganze Gemälde erstaunt: Dünn ist der Farbauftrag, sichtbar sind alle in Dunkelbraun gezogenen Linien, die die Körper Christi und des Johannes umreißen. Einfach und unmittelbar ist die Wirkung. Sah Reni das Bild als vollendetes Gemälde an? Oder handelt es sich lediglich um einen „abbozzo“, ein mit Pinselvorzeichnungen und ersten Farbschichten angelegtes Werk, das noch auszuarbeiten war?

Erklären lassen sich die im Skizzenhaften belassenen Werke zunächst mit der Lebenssituation des gealterten Superstars. Der jahrelange Druck, der auf dem Künstler lastete, die verheerende Spielsucht – in schwieriger finanzieller und psychischer Verfassung hat Reni wohlmöglich schnell und „auf Vorrat“ gearbeitet. Wer zu viel gleichzeitig beginnt, lässt jedoch vieles unvollendet.

Simone Cantarini, Bildnis des Guido Reni, um 1635–37 Öl auf Leinwand, Durchmesser 37 cm, Bologna, Pinacoteca Nazionale, Inv. 340
Guido Reni, Madonna mit Kind und dem Johannesknaben, um 1640–42 Öl auf Leinwand, 165,7 × 142,9 cm, Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, Inv. 84.PA.122

Auch in diesem Werk ist manches frei und skizzenhaft belassen: Nicht mehr als ein malerischer Hauch – so erscheinen das Lamm und die Figur des heiligen Joseph, der im Hintergrund durch die Tür tritt. Doch was unfertig anmutet, hat Reni wohl gezielt und voller Absicht ins Gemälde gesetzt. Diese Passagen verleihen dem Bild eine geheimnisvolle, übernatürliche Note.

„Ich wollte, ich hätte den Pinsel eines Engels oder die Formen des Paradieses gehabt (…) doch so hoch konnte ich nicht steigen (…).“

Guido Reni nach Giovan Pietro Bellori, 1672 Le Vite de' pittori, scultori e architetti moderni, hrsg. Von Evelina Borea, Turin 1976, S. 534

Outro

Das Göttliche erfahrbar machen – nichts Geringeres wollte Guido Reni mit seiner Kunst. In den letzten Werken scheinen sich Figuren, Linien und Farben aufzulösen. Oft hat Reni solche Gemälde tatsächlich begonnen und die Fertigstellung aufgeschoben. Gleichwohl fand er zunehmend Gefallen an der Schönheit des Unvollendeten. Immer wieder setzte er es auch bewusst als Gestaltungsmittel ein, um sein Können zu demonstrieren. In jedem Fall machen ihre Einfachheit und Zartheit Renis letzte Gemälde zu einem besonderen Seherlebnis.

Guido Reni, Junge Frau mit Kranz, um 1640–42 Öl auf Leinwand, 91,5 × 73 cm, Rom, Musei Capitolini – Pinacoteca Capitolina, Inv. PC 181

Blickfang

Ein Bild zum Schmunzeln. Reni stellt den antiken Weingott Bacchus als feistes Kleinkind dar. An ein Fass gelehnt, trinkt er den Rebensaft in vollen Zügen.

Der kleine Kerl ist schon so vollgelaufen, dass er ungeniert uriniert! Renis ironische Pointe: Parallel zum Pinkelstrahl fließt der Wein weiter aus dem Fass – die Zirkulation der Flüssigkeiten hat kein Ende. Doch damit nicht genug: Reni nimmt sich auch noch selbst aufs Korn. Denn sein berühmter himmelnder Blick veranschaulicht hier den Vollrausch des kindsköpfigen Bacchus!

Guido Reni, Der kleine Bacchus, um 1630 Öl auf Leinwand, 72 × 56 cm Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Gemäldegalerie Alte Meister, Inv. Gal.-Nr. 327

Gerät bitte drehen.

Das Digitorial ist für Hochformat optimiert.