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Im 17. Jahrhundert hielt Guido Reni halb Europa in Atem. Heute ist sein Name fast vergessen. Seine Kunst ist dennoch präsenter denn je.
Ob auf einem Skateboard, in den Bildern der Fantasy und Games, auf Kruzifixen, Kerzen und anderen Produkten der katholischen Devotionalien-Industrie: Guidos Figuren und nicht zuletzt seine Köpfe mit dem gen Himmel gerichteten Blick sind heute genauso beliebte Motive wie damals.
Ein Künstler, der Päpste und Königinnen warten ließ! Auf der italienischen Halbinsel und darüber hinaus wurde Guido Reni als der berühmteste Maler seiner Generation gefeiert.
Dem geflügelten Wort vom „artista divino“, dem göttlichen Künstler, machte Reni alle Ehre: Als er 1642 in seiner Heimatstadt Bologna starb, wurde er fast wie ein Heiliger zu Grabe getragen – so groß war der Starkult um den begnadeten Zeichner und Maler.
„Sein Körper blieb noch weitere drei Stunden ausgestellt, bevor er beerdigt wurde, nur um die Menschen zufriedenzustellen, die ihn wieder und wieder ansehen und ihn berühren wollten.“
Reni, ein schillernder Charakter – das beschrieben schon seine Zeitgenossen: besonders gutaussehend, keusch und fromm, der Schöpfer einer Kunst, die zugleich klar, einfach und mitreißend ist – das Musterbeispiel eines christlichen Malers. Er war aber auch ein Spielsüchtiger, der nachts in Spelunken viel Geld verprasste, abergläubisch war, voller Furcht vor Hexerei und Vergiftung, getrieben von Berührungsangst, vor allem gegenüber Frauen.
Nie ohne Hut und Mantel! Reni wusste, sich als Edelmann zu inszenieren. Von seiner herausragenden Leistung gab er sich voll und ganz überzeugt: Für seine Werke zahlten Auftraggeber oft keine festgesetzten Preise. Da seine Kunst ohnehin unbezahlbar sei, solle jeder selbst entscheiden: Mit seinem Preismodell des „Pay what you want“ setzte der Künstler auf das Ehrgefühl seiner Kundschaft und auf einen gewissen sozialen Druck.
Astronomische Preise für seine Werke! Renis Umsatz war enorm, ebenso berühmt-berüchtigt jedoch seine „fürstlichen Ausgaben“. Was er nicht verspielte, gab der wohltätige Reni großzügig an Bedürftige und Patenkinder ab. Der verehrte Ausnahmekünstler erhob sich über die Normen seiner Zeit.
„(…) eine gewisse Person vermeldet, daß Guido durch sein Kartenspielen bey Lebzeiten über hundert tausend Cronen wehrt verloren habe.“
Freiheiten, großes Ansehen und Rekordpreise – Renis Sonderstellung kam nicht von ungefähr: Nach seiner Ausbildung in Bologna zog es ihn nach Rom. Als der Papst ihn zum Hofmaler berief, war sein Ruhm gesichert.
Der Sohn einer Musikerfamilie wurde bildender Künstler: Schon mit neun Jahren begann Guido Reni seine Ausbildung in der Bologneser Werkstatt von Denys Calvaert (1540–1619), einem Maler aus Flandern. Zehn Jahre später schloss er sich einer innovativen Kunstschule an, der Accademia degli Incamminati. Von der Familie Carracci in Bologna gegründet, strebte diese neuartige Ausbildungsstätte nach einer Reform der Malerei.
Schnelle Striche: Auf dem Skizzenblatt von etwa 1600 probt Reni muskulöse Beine und Figuren. Doch der Künstler schulte sich mit Feder und Tinte nicht nur im anatomischen Zeichnen. Er übte auch seine Signatur: „Io Guido Reni Bologna“ (dt. „Ich, Guido Reni, Bologna“) lässt sich mehrfach entziffern. Als Reni 1601 nach Rom ging, hatte er sich zum selbständigen Künstler mit eigener Handschrift gemausert.
In kurzer Zeit zu größten Ehren – Renis Aufstieg in Rom war kometenhaft. Bereits 1608 kürte Papst Paul V. ihn zu seinem Hofmaler. Reni konnte sich dann vor Aufträgen kaum noch retten: Die mächtige Borghese-Dynastie, die Familie Pauls V. und andere Auftraggeber verlangten immer neue Kunstwerke des Malerstars. Kunst zu Glaubens- und Repräsentationszwecken – das war nicht nur dem Papst sehr wichtig!
Reni arbeitete bis zur Erschöpfung, mit vielen Gehilfen. Noch heute lassen sich die aufwendigen Wandmalereien bestaunen, mit denen er sich in den großen Kirchen und Palästen Roms verewigen durfte. Auch Entwurfszeichnungen für die verschiedenen Fresken haben sich erhalten.
Malen in den Privatgemächern des Papstes! Die Wandbilder in der Cappella dell’Annunziata des Quirinalspalasts von 1610 schmückten die damalige Sommerresidenz des Papstes. Paul V. wollte sich auch in seiner Privatkapelle mit der Kunst Renis umgeben. Dessen Vorzeichnung für das kniende Mädchens im Wandbild der „Geburt Mariens“ veranschaulicht die sorgfältige Planung der Fresken.
Eines der meistkopierten Werke der Kunstgeschichte: Der Gott Apoll lenkt seinen Pferdewagen durch hohe Lüfte; Aurora, die Göttin der Morgenröte, schwebt voran und streut Blumen. Der feierliche Himmelszug bringt Licht und Fruchtbarkeit über die noch dämmrig daliegende Landschaft. Bis ins späte 19. Jahrhundert war Renis Deckengemälde ebenso ein Muss bei jedem Rombesuch wie Michelangelos Sixtinische Kapelle und Raffaels Stanzen im Vatikan – gepriesen als „gemalte Poesie“.
Eine kleine Zeichnung, in der das ganze Kunstwerk steckt! Mit Tusche auf einem Stück Papier skizzierte Reni einen erstaunlich genauen Entwurf für das sieben Meter breite Deckengemälde. Der Künstler und seine Bewunderer waren überzeugt: Schon in Renis Kompositionszeichnungen zeigten sich die „idee celesti“, die himmlischen Einfälle des Ausnahmekünstlers.
Über allem schweben – wie seine berühmte „Aurora“ laden viele Bilder Renis zum Abheben ein. Sie stellen den allzu irdischen Wirklichkeiten etwas entgegen: eine Kunst „nicht von dieser Welt“.
Ohne seine Jahre in Rom wäre Reni nicht zu Reni geworden: Der Aufstieg zum päpstlichen Künstler war für den Bologneser entscheidend. Aber auch die Auseinandersetzung mit Caravaggios Malerei schärfte seine künstlerische Position.
Er könne sich selbst in Caravaggio verwandeln, sollen Renis römische Gönner über ihn gesagt haben. Gleich nach Ankunft in Rom forderte Reni den berühmt-berüchtigten Konkurrenten heraus. In seinem „Christus an der Geißelsäule“ aus der Sammlung des Städel Museums kommt das typische „Scheinwerferlicht“ – bis heute Caravaggios bekanntes Markenzeichen – gekonnt zum Einsatz.
„Es gab keinen Maler, der Guido nicht schätzte und nur Gutes über ihn sagte, mit der einzigen Ausnahme von Caravaggio.“
Etwa für fünf Jahre überschnitten sich die Lebenswege von Reni und Caravaggio in Rom. Der eine äußerlich ein frommer Edelmann, schön und engelsgleich, der andere ungekämmt, aufbrausend und mörderisch – die Zeitgenossen schilderten zwei gegensätzliche Charaktere. Im Rückblick ahnen wir: Brillante Künstler, Diven und Exzentriker waren sie beide. Der Vergleich ihrer Werke zeigt jedoch: Ihre Kunst unterscheidet sich sehr.
David und Goliath – ein Harfe spielender Hirte erschlägt und enthauptet einen zornigen Riesen. Eine Geschichte aus dem Alten Testament. Caravaggio zeigt das mörderische Handwerk Davids aus nächster Nähe und ungeschönt. Besonders gespenstisch: Der abgetrennte Kopf Goliaths blickt die Betrachter aus zerfurchtem Gesicht direkt an.
Ganz anders Renis Darstellung! David lehnt lässig an einer Säule. Die grausame Handlung, nach der eine blutige Tat den Hirtenjungen zum Helden macht, wird nicht gezeigt. Bekleidet mit rotem Barett, riesiger gelber Feder und königlichem Pelzumhang, betrachtet David den abgetrennten Kopf des Riesen unberührt. Reni inszeniert das Bild eines Triumphs: David, dessen makelloser weißer Körper an eine antike Statue erinnert, steht über den Dingen.
„Er [Reni] sieht das Natürliche, er packt es, zieht das Gute heraus, lässt das Schlechte zurück und verbessert es (…).“
Sich über alles hinwegsetzen – das konnte auch Reni. Als ihm der Arbeitsdruck in Rom zu groß wurde, kehrte er auf der Stelle nach Bologna zurück. Wie ein Rennpferd wolle er sich nicht behandeln lassen. Ab 1614 ist er endgültig als selbständiger Künstler in seiner Heimatstadt tätig.
Ein Mordsbild – die Dekoration eines Kamins, gemalt für das Wohnhaus der einflussreichen Bologneser Familie Zambeccari. Renis „Samson“ von 1615-17 ist spektakulär.
Überall getötete Soldaten – man möchte kaum hinschauen. Reni spart bei der Darstellung der blutüberströmten Leichen nicht an Details: ein Realismus, wie man ihn von Caravaggio kennt. Weit verstreut liegen die toten Körper. Das Gemälde zeigt den biblischen Helden Samson, der 1000 gegnerische Philister erschlug. Vor die fahle Szene des Schreckens stellt Reni die Figur Samsons – golden leuchtend, atemberaubend schön, ein Balletttänzer in Siegerpose. Wie kann er das wagen?
„Nie sah man einen Torso, der korrekter in der Zeichnung und prachtvoller in der Farbigkeit war.“
Reni zeigt mit dem „Samson“, was er kann. Künstlerische Perfektion angesichts der grausamen Geschichten von Mord und Todschlag? Beinahe ließe sich sein Bild als zynisch auffassen. Doch Reni bietet mit dem Gemälde eine ganz eigene Interpretation der biblischen Geschichte: Die Schönheit des durch göttliche Hilfe siegreichen Helden triumphiert über das irdische Grauen des Schlachtfeldes.
„Er war es, der es ablehnte, mit den anderen diesen niedrigen Erdboden gemein zu haben.“
Eine unerklärliche, gottgegebene Schönheit – dafür war Renis Kunst im 17. Jahrhundert berühmt. Die Nachfrage nach seinen Werken war immens. In Bologna unterhielt der Künstler deshalb ein riesiges Atelier.
„Un fare di paradiso“, ein paradiesischer Stil: Nicht von Menschenhand, sondern „da angelo“, von einem Engel gemalt – so wurden Renis Gemälde bejubelt.
„In unseren Zeiten haben wir dem berühmten Guido Reni zuschauen können, der in der Auffassung der Figurenstudien sehr genau und angemessen und in der Leichtigkeit und Anmut wie göttlich war.“
Die Schönheit und sanfte Bewegtheit seiner Werke hypnotisierten Renis Publikum. Nur mit den Regeln der Kunst lasse sich sein Können nicht erklären, waren seine Zeitgenossen überzeugt – eine solche Grazie entstehe allein durch göttliche Inspiration.
Eine Leinwand von fast zwei auf drei Metern! Zwischen der Leichtigkeit eines Flugs und der Last der Schwerkraft setzt Reni die nackten Körper von Hippomenes und Atalante wirkungsvoll in Szene. Die Darstellung erinnert an die Pose eines Tanzes. Renis Schilderung des antiken Mythos fasziniert bis heute.
Harmonie, Bewegtheit, Grazie – dafür stand zu Renis Lebzeiten vor allem der Name Raffael, Renis großes Vorbild aus dem 16. Jahrhundert. Er besaß zahlreiche Zeichnungen des Renaissance-Genies. Den weichen Konturen und feinen Modellierungen Raffaels folgte Reni: Er entwickelte Kopf- und Körperhaltungen, die ausgewogen komponiert und dennoch stimmungsgeladen sind. Wie schon Raffael zu seiner Zeit, wurde Reni als „göttlicher“ Maler gefeiert – „il divino“.
Renis Bologneser Werkstatt entwickelte sich zur Stadtsehenswürdigkeit. Hier gaben sich Kunsthändler, Kardinäle und Botschafter die Klinke in die Hand. Ob Altar- und Andachtsbilder, mythologische Szenen oder Porträts, gemalt in helleren oder dunkleren Farben – die Kunstwerke Renis waren sehr begehrt.
Rot, Gelb, Grün und das strahlende Blau von Himmel und Meer: Das Gemälde besticht durch seine satte, leuchtende Farbkraft. Reni zeigt vor weitem Horizont die Begegnung zwischen Bacchus und Ariadne auf der Insel Naxos. Ein klares, einfaches Bild, mit enormer Wirkung auf den Betrachter.
Ariadne, die Tochter des Königs von Kreta, lagert klagend auf einem Felsen. Ihr Geliebter hat sie auf der Insel zurückgelassen. Obwohl sie für ihn alles geopfert hat, segeln seine Schiffe in der Ferne davon. Noch nimmt sie Bacchus, den Gott des Weines und der rauschhaften Feste, nicht wirklich wahr. Doch er deutet bereits mit dem Zeigefinger auf sein Herz, das für Ariadne zu brennen beginnt. Die mythologische Geschichte einer Liebe zwischen Gottheit und Mensch!
Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen: Reni wusste sich unterschiedlicher Vorbilder zu bedienen und sie auf eigene Weise abzuwandeln und zu kombinieren. Dass die Kunst des „göttlichen“ Malers auf harter Arbeit beruhte, wird auch mancher seiner Zeitgenossen geahnt haben.
„Diese Gaben erwirbt man mit großer Mühe; diese Ideen, von denen sie sagen, sie seien mir offenbart worden, habe ich aus dem Studium (…) der antiken Statuen gewonnen.“
Eine Figur, zwei Gemälde – es braucht keinen Kunstexperten, um zu erkennen, dass Reni für die Darstellung der heiligen Magdalena seine Ariadne wiederverwendet. Aus der nackten Prinzessin ist eine christliche Büßerin geworden.
Einmal ist keinmal: Der wiederholte Einsatz von bestimmten Figuren oder Bildformeln zieht sich durch Renis Werk. Hatte er erst eine Körperform erfunden, nutzte er sie flexibel. Auch besonders beliebte Gemälde ließ der Künstler in hoher Zahl vervielfältigen: Von der „Büßenden Magdalena“ haben sich über 50 von seiner Werkstatt gemalte Kopien bis heute erhalten!
Eine solche Akkordarbeit war nur dank Renis großem Atelier mit zeitweise 80 Mitarbeitern möglich. Reni selbst soll betont haben: Egal von wem und wie oft seine Bilder ausgeführt würden – auf die Einfälle dahinter, auf seine „himmlischen Ideen“ käme es an!
Die Betrachter ergreifen, entrücken und verzücken: Reni verführt zum Blick in andere Sphären. Ein Maler, der Kunst und Religion aufs Engste verbindet.
Der in den Nacken gelegte Kopf, ekstatisch nach oben gerichtete Augen – kein Motiv findet sich häufiger in Renis Bildern als sein „himmelnder Blick“. Das Markenzeichen des Künstlers traf den Nerv seiner Zeit. Schmerz, Hingabe und Gottesvision: Was steckt hinter Renis Bilderfindung?
Nichts Neues unter der Sonne? Reni entwickelte sein Markenzeichen nicht im luftleeren Raum: Schon in Raffaels „Heiliger Cäcilia“ von 1514 blickt die Schutzheilige der Kirchenmusik hingebungsvoll gen Himmel. Um 1600 kopierte Reni das berühmte Gemälde genau. Schon als Kind in Bologna hat er es in einer Kirche bestaunen können. Doch Reni machte mehr aus dem Motiv des Aufschauens!
Nichts spricht die menschliche Aufmerksamkeit und Gefühle stärker an als ein Blick: Reni setzte den himmelnden Blick geschickt und sehr originell ein – nur auf eine Halbfigur und ihren Gesichtsausdruck fokussierte er seine Bilder. So entfalten sie eine mitreißende Sogwirkung auf die Betrachter. Den Augen anderer muss man schließlich folgen.
„… mindestens in der Lebendigkeit, dem Ausdruck seiner Köpfe, lässt er [Reni] sich mit Raffael selbst vergleichen.“
Leidenschaftliche Hingabe oder rasender Schmerz: Der himmelnde Blick spiegelt extreme Gefühlszustände, die die Betrachter ergreifen und in ihrem Glauben stärken sollen. Reni ging an die Grenzen des Sag- und Darstellbaren – und bewies damit immer auch sein künstlerisches Können. Vorbilder fand er in der antiken Skulptur, die von seinen Zeitgenossen für ihre Ausdruckskraft verehrt wurde.
Der grenzüberschreitende Blick, aus dem Diesseits ins Jenseits: Renis Zeitgenossen verbanden den himmelnden Blick mit der Vorstellung der Liebe zu Gott. Erfindungsreich und gewitzt waren Renis zahlreiche Varianten seines Markenzeichens, so auch in seinem spektakulären „Saulussturz“ – mit leicht geöffnetem Maul wendet sich hier sogar das Pferd himmelnd zum göttlichen Licht!
Ein christlicher Maler: Renis leidenschaftliche Verehrung der Gottesmutter Maria ist legendär. Seine Darstellungen ihrer Himmelfahrt waren heiß begehrt – und eine davon wurde sogar als wundertätiges Bild verehrt!
Als ob sich für einen Moment das Fenster zum Himmel öffnet: Lang vor der Erfindung des Flugzeugs lässt Reni die Betrachter über den Wolken schweben. Engelchen heben Maria immer weiter in die Höhe – verheißungsvoll ist der himmelnde Blick der Gottesmutter.
Schön und übersinnlich: Maria schwebt einem gleißenden Licht entgegen. Nicht auf Leinwand, sondern auf einer Kupferplatte ist das träumerische Bild gemalt. Der metallene Untergrund verstärkt die Leuchtkraft des gold-gelben Farbtons, den Reni gekonnt mit dem Blau und Rosa-Rot von Marias Gewändern kombiniert.
Zahlreiche, sehr ähnliche Varianten der Mariendarstellungen entstanden im Laufe von Renis Karriere, auf Kupfer, Holz oder Leinwand. Die Bilder der Himmelfahrenden waren in Zeiten der Gegenreformation gefragt, vor allem von Renis Hand.
„Er verehrte zutiefst die Jungfrau Maria (…). Kein Maler in irgendeinem Jahrhundert verstand es je, sie schöner und zugleich bescheidener darzustellen.“
Im Laufe seiner Karriere fokussierte Reni seine Marienbilder zunehmend auf die Figur der schwebenden Jungfrau. Die reduzierten und umso wirkungsvolleren Darstellungen führten zu immer neuem Ruhm: überwältigende Gemälde von über drei Metern Höhe, in leuchtenden, fast irrealen Farben.
Vom wundertätigen Bild bis hin zur malerischen Umsetzung einer christlichen Glaubenslehre – Renis Marienbilder sind bedeutungsschwer. Über die Rolle der Maria schieden sich im 17. Jahrhundert die Geister der katholischen Gelehrten. Renis Bilder bezogen Position.
Vergötterter Reni! Prächtig, harmonisch und schwelgerisch – die Marienbilder des Malers der „himmlischen Ideen“ verbinden andächtiges Schauen und Kunstgenuss. Die Gemälde sprechen intensive Gefühle und den Sinn für Schönheit an; der engelsgleiche Maler entführt in höhere Sphären.
„(…) und kein anderer hat es mit seinem Pinsel vermocht, die Seelen zur Andacht und zur Ehrfurcht gegenüber den Bildern anzuregen.“
Ein Ausnahmekünstler nicht von dieser Welt – am Ende von Renis langer Karriere entstanden rätselhafte Gemälde. Sie vermitteln den Eindruck einer schnell und kühn hingeworfenen Malerei, der Unfertigkeit und Offenheit.
Lockere, skizzenhafte Pinselstriche, ganze Bildbereiche, die unvollendet erscheinen – dazu auffallend blasse Farben: Renis letzte Werke sind so eigentümlich wie faszinierend.
Als habe er das Gemalte noch einmal „auskritzeln“ wollen: Mit groben, hektischen Strichen eines Borstenpinsels vermalt Reni in „Christus und der Johannesknabe“ das Tuch des knieenden Kindes mit der dunkelgrünen Hintergrundfarbe der Bäume und Pflanzen.
Das ganze Gemälde erstaunt: Dünn ist der Farbauftrag, sichtbar sind alle in Dunkelbraun gezogenen Linien, die die Körper Christi und des Johannes umreißen. Einfach und unmittelbar ist die Wirkung. Sah Reni das Bild als vollendetes Gemälde an? Oder handelt es sich lediglich um einen „abbozzo“, ein mit Pinselvorzeichnungen und ersten Farbschichten angelegtes Werk, das noch auszuarbeiten war?
Erklären lassen sich die im Skizzenhaften belassenen Werke zunächst mit der Lebenssituation des gealterten Superstars. Der jahrelange Druck, der auf dem Künstler lastete, die verheerende Spielsucht – in schwieriger finanzieller und psychischer Verfassung hat Reni wohlmöglich schnell und „auf Vorrat“ gearbeitet. Wer zu viel gleichzeitig beginnt, lässt jedoch vieles unvollendet.
Auch in diesem Werk ist manches frei und skizzenhaft belassen: Nicht mehr als ein malerischer Hauch – so erscheinen das Lamm und die Figur des heiligen Joseph, der im Hintergrund durch die Tür tritt. Doch was unfertig anmutet, hat Reni wohl gezielt und voller Absicht ins Gemälde gesetzt. Diese Passagen verleihen dem Bild eine geheimnisvolle, übernatürliche Note.
„Ich wollte, ich hätte den Pinsel eines Engels oder die Formen des Paradieses gehabt (…) doch so hoch konnte ich nicht steigen (…).“
Das Göttliche erfahrbar machen – nichts Geringeres wollte Guido Reni mit seiner Kunst. In den letzten Werken scheinen sich Figuren, Linien und Farben aufzulösen. Oft hat Reni solche Gemälde tatsächlich begonnen und die Fertigstellung aufgeschoben. Gleichwohl fand er zunehmend Gefallen an der Schönheit des Unvollendeten. Immer wieder setzte er es auch bewusst als Gestaltungsmittel ein, um sein Können zu demonstrieren. In jedem Fall machen ihre Einfachheit und Zartheit Renis letzte Gemälde zu einem besonderen Seherlebnis.
Ein Bild zum Schmunzeln. Reni stellt den antiken Weingott Bacchus als feistes Kleinkind dar. An ein Fass gelehnt, trinkt er den Rebensaft in vollen Zügen.
Der kleine Kerl ist schon so vollgelaufen, dass er ungeniert uriniert! Renis ironische Pointe: Parallel zum Pinkelstrahl fließt der Wein weiter aus dem Fass – die Zirkulation der Flüssigkeiten hat kein Ende. Doch damit nicht genug: Reni nimmt sich auch noch selbst aufs Korn. Denn sein berühmter himmelnder Blick veranschaulicht hier den Vollrausch des kindsköpfigen Bacchus!
Copyright Städel Museum, Frankfurt am Main, 2022
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